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Terrible One? Echt jetzt?

Die Sache mit dem starken Willen

Vor einem guten Jahr habe ich einen Artikel darüber geschrieben, dass es eine schwierigere Zeit gab, in der Enno und ich oft aneinander geraten sind. Er war seit einem halben Jahr großer Bruder, sein Leben wurde dadurch komplett auf den Kopf gestellt und wenn ich heute daran zurück denke, kann ich noch einiges mehr an Verständnis aufbringen als damals.
Die Zeit war intensiv, aber ratzfatz überwunden und mittlerweile ist es einfach nur noch cool und gelassen zwischen uns.
Aber hey, was wäre das Leben ohne die nächste Herausforderung; Oskar ist ja auch noch da.

Alle schimpfen immer über das verflixte zweite Jahr mit den Kleinen, der Begriff „terrible two“ hat sich manifestiert und gefühlt jede zweite Mutter hat Angst vor dem Moment, wann es sie wohl treffen wird. Diese Angst kannte ich bei Enno nicht, weil es bei ihm viel später kam und bei Oskar hatte ich keine Zeit, davor Angst zu bekommen, denn schwupps, von heute auf morgen waren wir plötzlich in der Trotzphase, mit 1,5. Herzlich willkommen.

Ich bin mir sehr sicher, dass ich es später richtig gut finden werde, dass Oskar so geradlinig ist. Wenn man ihn etwas fragt, bekommt man binnen Millisekunden eine ganz klare Antwort. Er weiß genau was er will, hadert nicht und lässt sich auch nur selten von seinem Weg abbringen. Falls doch, müssen die Argumente schon verdammt gut sein.
Ich mache mir keine Sorgen, dass er, wenn er älter ist, Entscheidungsprobleme haben wird oder mit schwierigen Situationen lange ringt.
Doch momentan, wenn es schon zuviel ist, dass ich den Becher ausspüle, bevor ich ihn erneut mit Wasser fülle, damit er etwas trinken kann, stehe ich am Rande der Verzweiflung.
Hier war zumindest der Grund erkennbar. War einfach dumm von mir. Ich hätte ihm auch sagen können, dass ich den Becher erst ausspüle, aber hinterher ist man immer schlauer. Ich versuche ihn soviel wie möglich vorher zu fragen, oder ihm Dinge, die ich tue zu erklären, um solchen Situationen vorzubeugen. Er versteht schon extrem viel und eben weil er so genau weiß, was er will, ist das eine gute Methode, den meisten Ausbrüchen vorzubeugen.

Es klappt allerdings nicht immer, denn er versteht ja noch nicht alles. Und manchmal versteh eben auch ich ihn nicht. Manch Wutanfall kommt für mich so krass aus dem Nichts, dass ich einfach nicht nachvollziehen kann, was gerade schief gelaufen ist. Ich weiß nicht, ob ich mitweinen oder lachen soll. Dann hilft nur Luft holen und ihm seinen Raum lassen. Ich respektiere seine Wünsche; wenn er nicht auf den Arm genommen werden möchte, okay, wenn er möchte dass ich gehe, okay. Wenn er dann ratzfatz doch wieder MAMA schreit bin ich wieder da.

In diesen Momenten wünschte ich, jemand würde mir stärkere Nerven schicken. Denn gelassen bleiben funktioniert zu Hause gut und bis jetzt blieben uns stereotype Supermarktszenen erspart, aber was noch nicht ist, kann ja noch werden.

Am Ende sitzen Oskar und ich im selben Boot. Es funktioniert nicht, wenn ich hier meinen Willen durchdrücke, genau so wenig ist es möglich, es ihm immer recht zu machen.

Solange spanne ich den Regenschirm über uns auf, schirme uns ab und lass uns zueinander finden. Manchmal geht es ganz schnell, manchmal dauert es etwas. Doch keiner von uns Beiden sollte allein im Regen stehen.
So wie ich meine Schmoll- oder Ärgermomente habe, hat er sie auch und bloß weil ich die Situation vielleicht für nichtig halte, muss Oskar das noch lange nicht genau so empfinden.

Und während manche Kinder willensstärker als andere sind, sind manche ruhiger; manche sind aktive Wirbelwinde, manche sind gelassene Bücherwürmer. Auch wenn mich Oskar momentan von einer Emotion in die nächste treibt, liebe ich ihn wie doll und verrückt. Ich liebe ihn, genau so wie er ist; für seinen Witz, für seinen pfiffigen Geist, für seine langen Locken im Nacken, für seine Fürsorge, wenn Enno traurig ist, für sein dreckiges Lachen. Ich liebe ihn.

Titelfoto: J W on Unsplash

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